Über Tortellini, Motten und den Tod

Am in «Geschichten» von flonk
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Ich betrete die Küche und schalte das Licht an. Flickernd erwacht die Leuchtstoffröhre und erfüllt die Kochzeile mit fahlem Licht. Ich gehe zum Fenster und lasse die laue Abendluft herein um den Dunst der letzten Kochvorgänge zu ersetzen. Im Kühlschrank liegen noch Tortellini, die sind schnell gemacht und ich habe heute noch nichts Richtiges gegessen. Also befülle ich den Wasserkocher und stelle ihn an. Während ich warte sehe ich mich in der Küche um.

Das Geschirr der letzten zwei Tage stapelt sich in der Spüle. Für einen Studenten ist das erstmal noch nicht viel, aber ich will auf den neuen Mitbewohner keinen schlechten Eindruck machen. Da ich morgen keine Vorlesung habe nehme ich mir fest vor, die Pfannen und Teller dann zu spülen. Hauptsache nicht jetzt.

Der Wasserkocher klackt und ich begieße die Tortellini mit Wasser. Während ich mit einer Gabel im Topf herumrühre kommt eine Motte durch den Spalt des gekippten Fensters geflattert. Sie fliegt immer wieder wie bescheuert gegen die Leuchtstoffröhre, wie es Motten eben tun. Ich gieße das Wasser ab und befördere die Tortellini in einen tiefen Teller. Als ich mich umdrehe um den Reibekäse aus dem Kühlschrank zu holen sehe ich, dass die Motte zwischen dem Geschirr herumflattert.

Gerade geht sie in einen Sinkflug unter ein Buttermesser. Ihre Flügel touchieren es nur leicht, aber sie geht zu Boden und bleibt rücklings in dem fettigen Teller liegen. Sie zappelt. Einmal. Zweimal. Dann ist sie ruhig. Fassungslos starre ich die Motte an. Nach ein paar Augenblicken ergreift mich ein tiefes Mitgefühl und ich versuche vorsichtig sie umzudrehen.

Doch sie zappelt sobald ich sie berühre und rutscht deshalb lediglich über den Teller. Dabei hinterlässt sie eine Spur aus Flügelstaub, schwarz wie Kohlenpulver. Nach ein paar weiteren Anläufen habe ich es endlich geschafft. Die Motte steht auf ihren Beinen, aber ihre Flügel scheinen aneinander zu kleben.

Ich bin ratlos. Wie entfettet man die Flügel einer Motte? Kurz durchzuckt mich der Gedanke es online nachlesen, da steht ja auch sonst alles. Doch da macht die Motte bereits einen Flugversuch und landet prompt wieder auf dem Rücken.

Mechanisch helfe ich ihr wieder auf. Das ist im Moment das einzige wozu ich in der Lage bin. So verharren wir sicher eine Minute. Ich starre die Motte an und sie... Keine Ahnung was sie anguckt oder denkt, ist ja eine Motte.

Wahrscheinlich denkt sie über ihr weiteres Vorgehen nach, denn sie beginnt ihren Marsch zum Tellerrand. Dort angekommen unternimmt sie einen weiteren Flugversuch, landet allerdings in der Kaffeetasse meines Mitbewohners, die gerade in der Spüle einweicht. Sie zuckt noch ein paar mal während ich versuche sie aus dem Wasser zu fischen. Doch als ich sie auf die Arbeitsplatte absetze fällt sie zur Seite um.

Lange stehe ich ungläubig vor ihrem Leichnam. Gerade eben noch ist sie wie jede andere verdammte Motte auch gegen meine beschissene Leuchtstoffröhre geflogen und jetzt ist sie tot.
Irgendwann setzen mein Hirn wieder ein. Ich gehe zum Fenster und schließe es. Danach öffne ich den Mülleimer und entsorge den Kadaver. Die Tortellini folgen, der Hunger ist mir vergangen. Ich blicke noch einmal auf den schwarz bestäubten Teller und bin völlig fertig.

Beim Verlassen der Küche mache ich das Licht aus.