Der Gabel-Stapler
Bernd war Gabel-Stapler und er mochte seinen Beruf. Sicher, es gab spannendere Tätigkeiten. Aber keine andere brachte die Welt so in Ordnung wie das säuberliche Stapeln von Gegenständen.
Schon als Kind hatte er gerne Sachen übereinandergelegt und wollte hoch hinaus. Er hatte im Kindergarten versucht mit Bauklötzen einen Turm bis zum Himmel zu stapeln. Zunächst legte er ein solides Fundament mit den Klötzen aus seiner Gruppe. Als diese zur Neige gingen, bestach er mit seinem Butterbrot drei andere Kinder und überfiel die Nachbargruppe. Gerade als er das erste Stockwerk vollendete, brach jedoch der Zorn der Kindergärtnerinnen über ihn herein. Seine gekauften Freunde zerstreuten sich und er musste alle Bauklötze zurückbringen.
Von da an beschloss er, seine Begabung zum Stapeln nur noch für das Gemeinwohl zu nutzen. Er half den anderen Kindern ihre Bauklötze zu stapeln und ordnete regelmäßig die Spiele im Schrank. Als er in die Schule kam, stapelte er Stühle und Kreide, auch wenn ihm das den Ruf eines Strebers einbrachte. Er hatte seine Bestimmung gefunden und war fest überzeugt sie auch zu leben.
So begann er zunächst als Sandwichstapler, allerdings wusste kaum jemand seine Ordentlichkeit zu schätzen, wenn er mal wieder mehrere Minuten die Zutaten auf dem Sandwich für maximale Stapelbarkeit neu sortierte.
Er nahm noch einige weitere Jobs an. Als Kistenstapler bestanden ihm die Stapel aus zu wenig Elementen. Als Dosenstapler bei Jahrmärkten glaubte er schon seine Berufung gefunden zu haben, aber die regelmäßige mutwillige Zerstörung seiner Arbeit verursachte bei ihm auf Dauer Depressionen.
Eine Zeit lang versuchte er es mit Artverwandten Berufen: als "stapler" in den USA konnte er nie so recht Fuß fassen, da es zu aufwändig war, die Metallklammern per Hand in die Dokumente zu stecken. Und mit Worten konnte er noch nie so recht umgehen, so dass auch seine Zeit als Hochstapler erfolglos blieb. Ja, als derart einseitig begabter Zeitgenosse hatte Bernd es schon nicht leicht.
Doch gerade als er aufgeben wollte, traf er auf einen alten Schulfreund. Dieser erzählte ihm lang und breit, dass er gerade eine Besteckmanufaktur übernommen habe. Allerdings sei ihm das Lager abgebrannt und nun würden sich die Gabeln bei ihm zu Hause bis unter die Decke stapeln. Als Bernd das hörte, konnte er nicht an sich halten. Als erfahrener Stapler wusste er sofort, dass ein schlecht konzipierter Stapel deutlich mehr Platz verbraucht als ein wohlgeordneter. Und so half Bernd seinem Freund die Gabeln, die wirklich die ganze Küche belegten, in ein paar Kartons zu stapeln.
Der Schulfreund war von Bernds strukturierte Stapelweise dermaßen beeindruckt, dass er ihm direkt eine Stelle als Gabelstapler anbot. Nach einiger Konfusion mit diversen Gewerkschaften wurde der offizielle Titel zwar zu "Gedeckpackungsfachmann" geändert, aber Bernd durfte den alten Titel auf dem Namensschild behalten und war somit glücklich wie nie.
Und wenn er nicht gestorben ist, dann stapelt er noch heute.